STELLUNGNAHME // Netzwerk: Keine Kürzungen in der Kinder- und Jugendarbeit!

Chemnitz, 01.09.2023 – Das Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit e.V. kritisiert die aktuellen Pläne des Chemnitzer Jugendamtes. Aus dem Austausch mit den Mitgliedern des Dachverbandes können wir schließen, dass mindestens sieben Stellen und zwei Einrichtungen im Bereich der Offenen Jugendarbeit zur Streichung vorgeschlagen sind. Dies entspricht einem Kürzungsumfang von ca. 15% in der offenen Kinder- und Jugendarbeit.

Die vorgeschlagenen Schließungen und Kürzungen werden mit der statistischen Auswertung der Besucherzahlen der offenen Kinder- und Jugendeinrichtungen 2022 begründet. In diesem Zeitraum waren die Möglichkeiten der Einrichtungen pandemiebedingt begrenzt. Auch wissenschaftlich gilt es als erwiesen*, dass es eine große Herausforderung war und immer noch ist, den Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen nach der Corona-Pandemie wieder zu etablieren. Die betroffenen Einrichtungen konnten mehrheitlich eine deutliche Erhöhung der Besucherzahlen im ersten Halbjahr 2023 vorweisen, teilweise sogar auf ein gesteigertes „Vor-Corona-Niveau“. Dies findet leider in den Kürzungsvorschlägen keine Berücksichtigung. Einige betroffene Träger melden zurück, dass es mit weniger Personal nicht mehr möglich ist, für die gestiegenen Nutzerzahlen ein fachlich vertretbares sozialpädagogisches Angebot auszugestalten. Die komplette Schließung von Einrichtungen wäre eine mögliche Konsequenz. Ganze Stadtteile würden dadurch von der offenen Kinder- und Jugendarbeit komplett abgeschnitten. „Der Freizeitclub LP² ist das einzige offene Angebot für Kinder im Alter von sechs bis 12 Jahren in Schloßchemnitz. Nach Corona und damit einhergehenden Schließungen, Hygienemaßnahmen, Beziehungsabbrüchen und verängstigten Eltern, trägt die verlässliche Beziehungsarbeit der Sozialarbeiter*innen langsam Früchte. Die Besucher*innenzahlen steigen kontinuierlich an und haben im ersten Halbjahr 2023 schon das Jahresniveau von 2019 überstiegen“, so Madeleine Haas vom Domizil e.V., dem Träger des von Kürzungen betroffenen Freizeitclub LP².
„Es wurde mehrfach vom Jugendamt und Jugendhilfeausschuss festgestellt, dass es nach Corona mehr, statt weniger braucht. Alle haben gesagt, dass es schwer werden wird, wieder belastbare Beziehungen zu den Kindern- und Jugendlichen aufzubauen. Es ist absolut unverständlich, dass genau jetzt, wenn die Einrichtungen wieder gut besucht werden die Stadtverwaltung Zahlen heranzieht, die längst überholt sind und durch pandemiebedingte Einschränkungen nie aussagekräftig waren. Es muss unbedingt verhindert werden, dass dadurch Einrichtungen weniger Personal haben oder sogar schließen müssen. Hinzu kommt, dass das Jugendamt in einem Schreiben vom 01.06.2023 mitgeteilt hat, dass es im Haushaltsjahr 2024 keine Stellenerweiterungen, selbst wenn diese jugendhilfeplanerisch befürwortet werden, geben wird. Die Umsetzung des 2021 in Kraft getretenen Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG), das eine inklusive Ausgestaltung der Jugendhilfe vorsieht, ist ohne notwendige Stellenerweiterungen nicht umsetzbar. Dies gilt insbesondere für die offenen Angebote für junge Menschen“ sagt Gregor Richter, Vorstand im Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit e.V. (NKJC e.V.).

Auch wenn die Gesamtförderung im Bereich der Jugendhilfe in den letzten Jahren angestiegen ist, reicht diese Steigerung nicht aus, um den gewachsenen Bedarfen gerecht zu werden und die gestiegenen Sach- und Personalkosten zu decken. Eine unzureichend finanzierte Jugendhilfe trägt nicht dazu bei, Chemnitz attraktiver für Kinder, Jugendliche und Familien zu gestalten. Besonders auffällig ist dabei der Umstand, dass die Vorschläge zur Kürzung erst dann geäußert wurden, als deutlich war, dass das zur Verfügung stehende Budget im Haushalt nicht ausreichen wird. Statt die beschlossene Förderkonzeption anzuwenden, die genau für diesen Fall vorgesehen ist und eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zu nötigen Kürzungen möglich machen soll, soll scheinbar über eine angeblich zu geringe Auslastung ein niedriger Bedarf skizziert werden. Der Prozess, in dem über die Jugendhilfeplanung auf veränderte Bedarfe reagiert wird, findet in Chemnitz kaum noch Anwendung. Stattdessen gesteht das Jugendamt nun selbst ein: die „Förderung orientiert sich mehr am Haushalt statt am Bedarf“ (Stadt Chemnitz in einer Präsentation mit den freien Trägern vom 08.08.2023).

Die Kürzungen haben auch Auswirkungen auf die Stelle „Jugendhilfe“, die als Interessenvertretung der freien Träger der Jugendhilfe fungiert und durch das Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit e.V. vertreten wird. Der Träger weißt seit Jahren darauf hin, dass die personelle Ausstattung des Projektes bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt unzureichend ist, um die Erwartungen und Anforderungen an den Leistungs- und Aufgabenumfang eines Stadtjugendringes zu erfüllen. Die vorgeschlagene Reduzierung auf weniger als eine Vollzeitstelle verunmöglicht eine adäquate und vor allem konstante Interessenvertretung. „Dies führt neben Unstimmigkeiten bei den Mitgliedern auch zu Einschränkungen in den Möglichkeiten, die Stadtverwaltung bei einer unabhängigen und bedarfsgerechten Jugendhilfeplanung zu unterstützen. In Dresden und Leipzig verfügen vergleichbare Stellen über ein Vielfaches an Personal. Auch dies ist ein deutliches Zeichen, welchen Stellenwert Kinder und Jugendliche in der Stadt haben“, sagt Gregor Richter, Vorstand des NKJC e.V.

Eine Strategie, wie die Herausforderungen in der Jugendarbeit angesichts der steigenden Anforderungen bewältigt werden sollen, ist seitens der Stadt Chemnitz nicht erkennbar. Langjährig aufgebaute Strukturen werden ohne eine klare Perspektive und fachliche Begründung gekürzt. Stattdessen wird an der Hoffnung auf bessere Haushaltszeiten festgehalten, um dem Bedarf junger Menschen irgendwann gerecht werden zu können. Dies deckt sich nicht mit dem Verständnis eines Rechtsanspruches aller jungen Menschen auf Förderung ihrer Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit laut SGB VIII §1. Kürzungen und Kompromisse unter falschen Annahmen, auf dem Rücken der Kinder und Jugendlichen, darf es nicht geben.

Das Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit e.V. fordert daher: 1. Suche nach Deckungsquellen, um das Defizit im Jugendhilfehaushalt 2024 auszugleichen 2. Eine bedarfsgerechte Gestaltung des Etats für Jugendhilfe, einschließlich einer dynamischen Anpassung der Fördermittel für kommende Jahre, um steigende Personal- und Sachkosten abdecken und eine tarifgerechte Entlohnung gewährleisten zu können 3. Jetzt in Prävention investieren, statt zeitverzögert mit sehr viel höheren Summen auf Fehlentwicklungen später nur reagieren zu können 4. Einen konkreten Auftrag an die Jugendhilfeplanung, bis 2028 einen bedarfsdeckenden, sozialräumlich orientierten Jugendhilfeplan unter Einbeziehung der freien Träger und Beteiligung der jungen Menschen und Akteure vor Ort zu erarbeiten und die dafür notwendige ausreichende Finanzierung eines Stadtjugendrings sicherzustellen

*https://jugendhilfeportal.de/artikel/was-brauchen-kinder-jugendliche-und-familien-nach-corona-konsequenzen-fuer-die-kinder-und-jugendhilfeich

Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit
Das Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit e. V. ist ein freiwilliger Zusammenschluss von vorwiegend gemeinnützigen Vereinen, Verbänden und Initiativen in Chemnitz. Wir handeln auf der Grundlage von demokratischen Entscheidungen sowie offenen und transparenten Arbeitsstrukturen. Der Verein lebt vom aktiven Mitwirken seiner mehr als 70 Mitglieder. Das Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit e. V. verfolgt den Zweck der Förderung und Unterstützung von Kunst und Kultur, insbesondere Soziokultur, demokratischer Bildung sowie von Jugendarbeit und Jugendhilfe. Der Verein ist parteilich unabhängiger Interessenvertreter seiner Mitgliedsvereine. Die Vernetzung und Bündelung von Ressourcen sind Ansprüche, die in der täglichen Arbeit realisiert werden.

Kontakte für Rückfragen
Tina Kreller, Projektleitung Jugendhilfe, Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit e.V.
+49 1522 / 66 52 206, E-Mail:

Gregor Richter, Vorstand Netzwerk für Kultur- und Jugendarbeit e.V.
+49 1573 / 18 39 491, E-Mail:

Madeleine Haas, Domizil e.V. Betreiber des zur Schließung vorgeschlagenen LP²
+49 371 / 33 12 103, E-Mail:

Stellungnahme als PDF

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